Anfang März hatte ich einen Beitrag zur Gastronomie und Corona begonnen. Er ging um die Maßnahmen, die in Italien getroffen wurden und wie man sich als Bar in einer ähnlichen Situation verhalten könnte.
Ich ging mögliche Einschränkungen durch und wie man ihnen begegnen könnte. Von Infozetteln über die Nutzung von Papierhandtüchern statt Handtrocknern bis hin zur Umwandlung zu einem Café. Dann kam der Lockdown so schnell und umfangreich, dass er den Beitrag überflüssig machte.
Inzwischen ist der Lockdown für Bars vom ursprünglich 19.4. bis zu einem immer noch nicht bekannten Datum verlängt…
Was macht man mit einer geschlossenen Bar?
Auch wenn viele Firmen behaupten, sie hätten ein „familiäres Verhältnis“ unter den Angestellten: fast nirgends wird diese Aussage so zutreffen wie bei uns. Meine Angestellten sind meine Freunde und wir haben seit unserer Öffnung 21016 nur sehr wenige Kündigungen zu verzeichnen.
In der ersten Woche setzten wir uns also an eine Menge von Aktionen, die wir sowieso „schon lange mal“ machen wollten. Angebotsvorlagen wurden überarbeitet, mögliche neue Umsatzquellen recherchiert, etc
Aber in einer Firma in der ein Großteil der Arbeit nunmal im Laden stattfindet ist auch diese Arbeit irgendwann beendet. Auch sind viele Angestellte das Arbeiten im Home-Office nicht gewohnt und die deprimierende und beängstigende Situation macht die Ergebnisse keinesfalls besser.
Gastronomie und Corona geht doch. Digital!
Das Thema Streaming war bei uns schon immer irgendwo vorhanden. Wir haben Ende 2016 eine dedizierte „Casting Ecke“ eingerichtet die über die Jahre stetig gewachsen ist. Dort wurde mal mehr und mal weniger gestreamt, darüber hinaus diente sie auch Partnerfirmen als zusätzliche Möglichkeit der Bewerbung ihrerer Veranstaltungen.
Inzwischen beinhaltet sie neben einem PC mit Mischpult auch diverse Kameras, Kopfhörer und Mikrofone (kabelgebunden sowie kabellos). Sie ist nett aber nicht perfekt – und so waren es auch unsere Medienkompetenzen.
Wir beschlossen relativ schnell, aus der Not eine Tugend zu machen. Anfangs fingen wir einfach an, wie jeder andere Streamer das zu streamen, was wir gerade spielten. Andy streamte „Animal Crossing“, Lucas „Half-Life: Alyx“ und Gaspard z.B. „Assassin’s Creed: Odyssee“.
Das Ziel war das Sammeln von Geld über Donations und Abos aber natürlich auch die Bindung zu unserer Community beizubehalten.
Mit der Zeit erlangten wir zu der Erkenntnis, dass diese Communitybindung nicht nur unsere Stärke war. Die „Versorgung“ der Community in einer für viele sehr einsamen Zeit war auch so etwas wie unsere soziale Verantwortung. Wir waren seit Jahren der Auslöser für mannigfaltige soziale Aktivitäten unserer Gäste. Manche kommen nur zum Nerdquiz weil sie viel Nerdwissen haben, andere sind nur bei jedem Werwolf-Abend dabei und wieder andere spielen bei jedem Pen & Paper Abend mit. All diese Communities saßen nun zuhause und langweilten sich. Wir nahmen uns also vor, unsere Offline-Eventreihen online umzusetzen und auch sonst unseren Gästen eine gewisse „Abendunterhaltung“ zu bieten. War „Gastronomie und Corona“ zunächst nicht vereinbar, versuchten wir nun, sie quasi gezielt zur Kundenbindung zu nutzen.
Die Geburt der Online-Events
Von nun an war unser Fokus klar auf der Community. Unsere Abend-Streams sollten dabei der Community nicht nur die Möglichkeit bieten, zuzuschauen sondern im Optimalfall auch selbst mitzumachen.
Wir setzten uns also an die Konzeptionierung neuer Event-Idee sowie der Umsetzung unserer Eventreihen, insbesondere Werwolf sowie dem Nerdquiz.
Hier lernten alle Involvierten auch noch einmal Grundlegendes über die Organisation von Events. Denn hatte man einen Ablauf nicht bis ins kleinste Detail besprochen und durchgeplant, konnten dumme Fehler passieren. Diese wirken on-stream nicht nur unprofessionell sondern machten die Erfahrung für den Zuschauer auch deutlich schlechter machten. Ein Moderator der zwei Minuten lang eine Szene basteln muss kann einfach nicht mehr so gut mit dem Chat interagieren. Gute Vorbereitung wurde noch wichtiger als bei so manchem Offline-Event.
Während bei anfänglichen Events Szenen fehlten waren wir nach einigen Wochen sogar auf spontane Wechsel eingestellt. Kam spontan ein zusätzlicher Gast in den Discord-Call und das komplette Design wurde verworfen hatten wir bereits eine Szene genau für diesen Fall parat und konnten diese auch innerhalb weniger Sekunden entsprechend anpassen.
Dazu lernten alle Beteiligten eine Menge über das Streamen an sich. Die Arbeit mit OBS Studio wurde zum Alltag, man lernte wie man eine Kamera in mehreren Programmen parallel nutzen kann oder setzte sich mit der Einbindung unserer Systemkamera auseinander.
Zudem kauften wir eine Software für Videoschnitt und lernten es, Videos zu schneiden.
Der Run zum Twitch Partner – Qualität oder Quantität?
Nachdem wir dank bestehender Community recht schnell die 100 Abo-Grenze überschritten stellten wir uns eine Frage: würden wir es schaffen, Twitch-Partner zu werden.
(Zum Verständnis: eine Twitch-Partnerschaft bringt u.a. eine höhere Vergütung der Abos sowie die Möglichkeit, mehr individuelle Emojis anzubieten).
Alle dafür notwendigen Hürden hatten wir bereits genommen – bis auf eine: ein Zuschauerschnitt von 75 Viewern über einen Zeitraum von 30 Tagen.
Zwar hatten wir Events wie das Nerdquiz wo wir z.T. an der 300-Viewer-Grenze kratzten, aber im Schnitt dümpelten wir doch eher bei etwa 30 herum.
Eine Zeit lang diskutierten wir die Frage, ob wir nicht alle Streams mit weniger Viewern auslassen sollten um den Schnitt zu erhöhen. Dies hätte nicht nur den Tod z.B unseres Sport-Formats „Dungeons & Workouts“ oder des serious „Thekentalk“ bedeutet. Es hätte zudem unsere Streaming-Zeit insgesamt deutlich verringert und wir uns vom ursprünglichen Gedanken des „wir wollen nicht in Vergessenheit geraten“ entfernt. Wir entschieden uns, das Projekt „Twitch Partner“ nicht zu rushen und auf langfristiges Wachstum zu hoffen.
Und nun?
Die ersten Schritte sind gemacht und wir streamen regelmäßig mit stetigem Wachstum. Wir haben es geschafft, Gastronomie und Corona irgendwie miteinander zu verbinden indem wir unseren USP der Zusammenkunft in ein Digitalkonzept eingebaut haben.
Für einige Events haben wir tatsächlich auch auf Werbung gesetzt um die Viewerzahlen (und hoffentlich auch Follower und Subs) zu erhöhen.
Wir planen, auch nach Wiedereröffnung unsere Events – die dann wieder offline stattfinden – zu streamen. So wollen wir in einer für die Gastronomie (voraussichtlich schweren) Zukunft weitere Umsätze generieren um Arbeitsplätze zu sichern.
In den Arbeitsplänen für „nach dem Lockdown“ sind bereits feste Stunden für Streaming mit eingeplant. Auch an der praktischen Umsetzung (Recherche nach Kameras, Übertragungstechnik, etc) sitzen wir bereits. Es wird spannend, ob wir unsere Viewerzahlen in „normaleren“ Zeiten halten oder durch attraktive Events eventuell sogar ausbauen können…
Andreas organisiert seit 2012 eSports-Events in Köln und leitet seit Januar 2016 die Gaming- und eSports-Bar „Meltdown Cologne“. In seiner Freizeit versucht er ab und zu Sport zu treiben, schaut Serien und spielt Games oder mit seinen Katzen. Dazu trinkt er tagsüber literweise Kaffee und abends gerne Wein oder gutes Bier.